Lettering-Grundlagen: Typografie – Teil 2

Heute geht’s weiter mit den theoretischen Grundlagen. Und nachdem ich das letzte Mal über den mikrotypografischen Bereich geschrieben habe, steige ich heute in die Makrotypografie ein, also eher das große Ganze. Eigentlich zäume ich das Pferd von hinten auf, und hätte theoretisch mit dem anfangen müssen, was ich in den nächsten Posts behandeln werde. Da ich aber anfangs noch keinen echten Plan hatte, wo ich mit dem Blog hier hin will, ist es nun eben so. Nach den typografischen Begriffen fahre ich dann jedenfalls mit Gestaltungsgrundsätzen, Perspektive, Farben und Wahrnehmungspsychologie fort. Denn nicht nur mit Fotos kann man bei Menschen Emotionen auslösen. Auch über Schriften und Farben ist das natürlich möglich und man kann es sehr sogar gezielt einsetzen bis hin zu optischen Täuschungen. Auch einige Übungen gibt es dann diesbezüglich für euch.

Vorweg sei noch gesagt: Ich picke auch weiterhin nur die für euch wichtigen „Rosinchen“ in Sachen Fachwissen heraus. Nicht umsonst muss man eine jahrelange Ausbildung durchlaufen in meinem Bereich, da alle Themenfelder noch viel viel mehr umfassen, das man verinnerlicht haben sollte. Gerade im Lettering kann man aber sehr frei agieren. Viel freier als beispielsweise aktuell im Webdesign. Bezüglich der Typo sollte man dort nach wie vor hauptsächlich auf die Lesbarkeit setzen und entsprechend kann man nicht wirklich große typografische Experimente starten, wenn Dinge auch auf kleinen Smartphone-Bildschirmen gut zu lesen sein müssen. Beim Lettering jedoch, welches vorwiegend für Einzelmotive und im „Offline-Bereich“ Anwendung findet (und eigentlich auch beim Illustrieren), geht das. Dort kann man sich bezüglich Formen, Farben, Strukturen und Materialien richtig austoben.

Nun aber zur Makrotypografie…

Lesefreundlichkeit

Bis zu einem gewissen Grad gibt es bei der Typografie Dinge, die man nicht tun sollte, weil sie das Schriftbild zerstören oder die Lesbarkeit behindern. Bei Lettering-Sachen bzw. gerade bei den aktuellen Trends, was Typobilder mit vielen Schriften betrifft, werden solche Dinge nahezu aufgehoben. Fast alles, was man in der Gebrauchsgrafik normalerweise vermeidet, gilt dort nicht, da es sehr in den künstlerischen Bereich hinein geht.

Folgende Dinge beeinflussen die Lesbarkeit von Texten:

  • Hintergrund
  • Farbe
  • Schriftart
  • Schriftgröße
  • Laufweite (also die Buchstabenzwischenräume)
  • Zeilenlänge
  • Buchstaben pro Zeile
  • Trennungen
  • Zwischenräume (Wort-, Zeilen-, Spaltenabstände)

Ein kleiner Tipp: Als Einstieg ins Lettering bietet es sich an, erstmal am Rechner in einer Schrift seiner Wahl Wörter vorzuschreiben, auszudrucken und die dann durchzupausen. So bekommt man ein Gefühl für die Schrift und das Schriftbild und übt sich außerdem im Zeichnen von Buchstaben.

Grundsätzlich gilt für die Lesbarkeit: Je ungewöhnlicher die Schrift, desto sparsamer der Einsatz je länger ein Text ist. Das klingt jetzt vielleicht etwas langweilig und gerade am Anfang neigt man ja gerne mal dazu, alle Effekte anzuwenden die man finden kann, aber viel hilft eben nicht immer viel. Ebenfalls sparsam sollte man mit der Verwendung von ganzen Wörtern, Wortgruppen oder gar Texten in Großbuchstaben umgehen. Sie sind schlecht lesbar, weil dem Auge die Führung durch die Klein- und Großbuchstaben fehlt und vermitteln dem Lesenden auch ein gewisses Gefühl, angeschrien zu werden. Also auch hier: Bei Letteringprojekten, in Überschriften oder einzelnen Hervorhebungen, bei denen die Lesbarkeit nur eine untergeordnete Rolle spielt, ja, ansonsten sollten Texte in Versalien vermieden und werden.

Typografie Grundlagen

Händische Manipulationen an Schriften sind ebenfalls so eine Sache. Da sich die Schriftgestalter im Gestaltungsprozess so ihre Gedanken gemacht haben, wirken sich in der Regel händische Manipulationen immer negativ aus. Durch Zerren oder Stauchen werden auch die Striche und Zwischenräume einer Schrift künstlich verändert und in den seltensten Fällen sieht das dann noch gut aus, weil es unausgewogen wirkt. Zum Üben sollte man sich also Schriften als Vorbilder suchen, die durch den Gestalter schon mit den entsprechenden Eigenschaften entwickelt wurden. Beim Lettering entwickelt man ansonsten in der Regel mit der Zeit ein Auge dafür, was gut aussieht und was nicht.

Handlettering Typografie Zerren Strauchen

Laufweite, Spationieren, Unterschneiden, Wortabstand

Die Laufweite ist bei digitalen Schriften in der Regel gut ausgeglichen und kleine Unstimmigkeiten fallen bei normalen Texten nicht auf, bei Überschriften, also großen Schriften, aber schon. Einige Buchstabenkombinationen, wie zum Beispiel TA, LT, VA, To, Aw oder Zahlenpaare mit viel Fleisch wie 17, sind ein bisschen kritisch, weil der große Weißraum bei den Buchstaben optische Löcher erzeugt, die ausgeglichen werden müssen. Das wird in der Regel händisch gemacht und nennt sich Unterschneiden.

Das Vergrößern der Laufweite, also des Buchstaben- und/oder Wortabstandes wiederum nennt sich Spationieren. Das ist selten nötig, kann aber als Eyecatcher durchaus reizvoll sein.

Im Englischen und in vielen Grafikprogrammen sind Spationieren und Unterschneiden in dem Wort Kerning (für Abstände zwischen Buchstabenpaaren) oder Tracking (für die gesamte Laufweite) zusammengefasst.

Wichtig ist: In einem längeren Text, der in der Regel in einer einzigen Schriftart verfasst ist, sollte die Laufweite nicht variieren. Das passiert ganz gerne mal, wenn man in einem Schreibprogramm Blocksatz einstellt und schmale Spalten hat. Das Programm ist dann oft nicht in der Lage, die Abstände auszugleichen und es entstehen solch merkwürdige Schriftbilder.

Handlettering Typografie Kerning

Als optimaler Wortabstand wird die Dickte eines t oder die Punzenweite des n angesehen. Kleinere Abstände verwehren dem Auge die Sprungmarke zum nächsten Wort, größere verursachen optische Löcher.

Handlettering Typografie Wortabstand

Zeilenabstand

Der Zeilenabstand ist beim Lettering so gesehen zweitrangig – besonders, wenn man künstlerisch arbeitet. Eigentlich zu weite oder zu enge Zeilenabstände können dann sogar sehr reizvoll sein.

Da ihr sicherlich aber ab und an auch längere Texte bearbeitet, möchte ich trotzdem ein paar Worte dazu schreiben. Der Zeilenabstand beschreibt die Distanz der untereinander stehenden Schriftzeichen und wird von Schriftlinie zu Schriftlinie gemessen. Eingebürgert hat sich ein normaler Zeilenabstand von 120% der Schriftgröße, die in vielen Schreibprogrammen auch voreingestellt ist und bei einer 10-Punkt-Schrift ergo 12 Punkt beträgt.

Diese rechnerischen Werte sind jedoch je nach Schriftart hinfällig, denn was eigentlich zählt, ist der optische Zeilenabstand. Er ist der Weißraum zwischen den Zeilen und wird von der Schriftlinie zur Mittellänge gemessen. Als Faustregel kann hier ansetzen, dass dieser Weißraum etwa dem Anderthalbfachen der x- oder Mittellängenhöhe, also der Höhe der kleinen Buchstaben, entsprechen soll. Das ergibt im Ganzen viel mehr Sinn als diese 120%-Sache, denn wenn ihr mal in euren Schriften-Ordner schaut, werdet ihr feststellen, dass sich Fonts nicht selten auch durch die Höhe der kleinen Buchstaben sehr unterscheiden. Daran den Zeilenabstand auszurichten ist also sowohl auf dem Rechner als auch bei euren Lettering-Projekten sinnvoll. Längere Zeilen benötigen außerdem etwas mehr Zeilenabstand als kurze, damit das Auge leichter zum nächsten Zeilenanfang springen kann.

Zeilenabstand

Satzausrichtung

Auch hier: Beim Handlettering „darf“ man, was in der Gebrauchsgrafik eigentlich als NoGo gilt – zum Beispiel Schriftgrößen von einzelnen Zeilen so verändern, dass die Zeilen alle gleich lang sind. Bei der normalen Textgestaltung von längeren Texten spielt die Satzausrichtung jedoch für die Lesbarkeit eine Rolle.

Bei der Ausrichtung unterscheidet man hauptsächlich 4 Satzarten: Linksbündigen und rechtsbündigen Flattersatz, Blocksatz und zentrierten Satz. Für eine gute Lesbarkeit sollte der Zeilenbeginn eines Textes eine optische Kante bilden, damit das Auge schneller den Anfang der Zeile findet. Rechtsbündiger Flattersatz und zentrierter Satz fallen da also schon mal raus. Sie sollten nicht bei längeren Texten verwendet werden, können aber für Überschriften oder kurze Texte sehr schön sein.

Bei Block- und Flattersatz scheiden sich ein wenig die Geister. Von der Lesbarkeit sind beide in etwa gleichauf. Sind die Zeilen sehr kurz kann eine automatische Einstellung im Schreibprogramm bei beiden zu Problemen führen: Da beim Blocksatz alle Zeilen gleich breit sind, werden die Abstände zwischen den Wörtern durch das Programm automatisch vergrößert. Das kann unschöne Löcher im Text verursachen. Oder die Schrift wird zusammengeschoben, was zu geringe Wortabstände zur Folge hat.

Beim Flattersatz sollte man darauf achten, dass er nicht zu sehr flattert durch automatisierte Umbrüche. Auch Treppeneffekte oder nicht sinnvolle Trennungen sollten vermieden werden. Programme wie InDesign können das inzwischen ziemlich gut, viele andere jedoch nicht.

Das war’s zu den typografischen Sachen und die nächsten Beiträge werden vermutlich wieder etwas spannender – vor allem, wenn es in die psychologische Ecke geht. :)

Falls ihr Fragen habt, schreibt mir gerne!

Lettering-Grundlagen: Typografie – Teil 1

Anatomie der Buchstaben / Typografie / Mikrotypografie

Ich hatte es ja schon angekündigt: Heute geht’s ein bisschen zu wie in der Schule. :) Denn ich finde, wenn man sich mit Schrift und Lettering beschäftigen will, sollte man auch einige Fachbegriffe und Zusammenhänge kennen. Das wird leider in den meisten Tutorials, Kursen und Co. völlig vernachlässigt, was daran liegen mag, dass die meisten sich das mit der Praxis irgendwo mal ein wenig abgeschaut haben, aber das eigentliche Hintergrundwissen einer fundierten Ausbildung fehlt.

Und da ich das echt ein Unding finde, müsst ihr jetzt bei mir da durch – ob ihr wollt oder nicht. Los geht’s mit den wichtigsten Begriffen rund um die Typografie. Nächste Woche folgt dann noch Teil 2 zum Schriftsatz und ein wenig Gestaltungspsychologie. Das macht nicht schlagartig einen Gestalter aus euch – da tut es neben dem angeborenen Talent eben doch nur die Übung – es hilft jedoch ungemein, Denkprozesse in Gang zu bringen und Dinge anders zu sehen, wenn man Letteringprojekte plant. Irgendwann geht das auch in Fleisch und Blut über.

Der Buchstabe

Buchstaben, die man in der Typographie auch Glyphen nennt, sind das kleinste Element, aus welchem man ein Wort oder einen Text bilden kann. Die Anordnung und die Gestaltung der Buchstaben bestimmt die Form und die Lesbarkeit eines Textes.

Majuskel oder Versalien / Versalbuchstaben: So lautet der Fachbegriff für Großbuchstaben. Sie orientieren sich an den geometrischen Grundformen Dreieck, Kreis und Quadrat.

Grundformen der Buchstaben

Minuskel oder Gemeine: So lautet der Fachbegriff für Kleinbuchstaben.

Anatomie der Buchstaben: 

Anatomie_der_Buchstaben

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1) Grundlinie – Linie, an der die Schrift ausgerichtet wird

2) Mittellinie oder x-Linie

3) p-Linie

4) k-Linie

5) Versalhöhe – Höhe der Versalien einer Schrift

6) Mittellänge oder x-Höhe – Höhe der Gemeinen einer Schrift

7) Oberlänge

8) Unterlänge

9) Stamm, Grundstrich

10) Abstrich – wird nach unten geführt

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11) Aufstrich – wird nach oben geführt; in der Kalligraphie i.d.R. auch der dünnste Strich = Haarstrich

12) Serife – häkchenartige Enden

13) Tropfen – runde Abschlüsse, z.B. beim a, g, c und j

14) Ohr, Fähnchen – Haken am g

15) Bauch – Rundung, z.B. beim d, b, p und q

16) Schulter – obere Rundung, z.B. beim m, n, a und h

17) Schleife – Schlinge am g

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18) Überhang – Bereich, der über die Versalhöhe hinaus ragt

19) Binnenraum, Punze – (teilweise) geschlossene Binnenfläche eines Buchstabens

20) Achse – Symmetrieachse zwischen den Stellen mit der geringsten Strichstärke

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Ligaturen

Ligaturen

Ligatur ist der Fachbegriff für die Verbindung von mehreren Buchstaben (meist zwei, selten drei) zu einem Zeichen. Sie vermeiden Löcher im Schriftbild (z.B. bei der Verbindung fi oder fl) oder verbinden Buchstaben zu Lauteinheiten (z.B. bei der Verbindung ch). Auch können sie eingesetzt werden, um die Schrift zu verzieren. Nicht verwendet werden sollten sie bei Buchstaben, die zwei Silben aneinander schließen bzw. bei Nahtstellen zusammengesetzter Wörter. Auch bei gesperrten Schriften (zu diesem Thema komme ich in einem der folgenden Posts noch) sollten sie nicht verwendet werden. Die wohl bekannteste Ligatur ist das &-Zeichen oder Ampersand, welches sich aus dem lateinischen „et“ (= und) entwickelt hat. Persönlich eins meiner Lieblingsschriftzeichen und auch im Lettering und der Kalligraphie sehr gut einsetzbar.

Fleisch, Vor- und Nachbreite, Dickte

Dickte

1) Fleisch: Weißraum um den einzelnen Buchstaben, der bei einigen Buchstabenverbindungen vor allem in Überschriften manuell ausgeglichen werden muss, damit optisch keine Löcher entstehen.

2) Vorbreite: Raum vor einem Buchstaben. 3) Nachbreite: Raum nach einem Buchstaben. > Diese Abstände sind bei fast allen digitalen Schriften nicht gleich groß, da sonst auch hier optisch Löcher entstehen würden. Das ist zum Beispiel bei runden Buchstaben der Fall. Sie haben eine reduzierte Vor- und Nachbreite, weil durch die Rundung mehr Weißraum vorhanden ist.

4) Dickte: Breite eines Zeichens mit Vor- und Nachbreite.

Die Liste ist, wie oben schon erwähnt, nicht vollständig, aber als Grundstock ausreichend. Der nächste Teil folgt in wenigen Tagen.